Das Risiko fliegt mit

Ostschweizer Tagblatt vom Samstag, 24. Dezember 2005

Beim Verdrängungs-Wettbewerb im Luftraum kommt die Sicherheit zu kurz.
Fliegen wird immer populärer. Dank Günstigstangeboten von Billig-Airlines können sich bald alle diesen einstmaligen Luxus leisten. Es besteht allerdings das Risiko, dass beim wirtschaftlichen Verdrängungs-Wettbewerb im Luftraum die Sicherheit zu kurz kommt.

FRANZ PAULI

Schauplatz: Flugplatz Pristina (Kosovo), im Oktober 2004. Der Flug Helvetic-8100 mit Ausgangsdestination Kloten versucht bei Nebel und knapp 1700 Metern Sicht zu landen. An Bord der DC-9 befinden sich 165 Passagiere, ein – wie bei Helvetic üblich – sehr gut ausgelasteter Flug. Beim Landeanflug bemerkt die Crew, ein 34-jähriger Schweizer Captain und ein 29-jähriger Schweizer Co-Pilot, dass sie die Landebahn nicht optimal erwischt. Aus einer starken Querlage heraus wird durchgestartet. In der Passagierkabine ertönt plötzlich ein stark kratzendes Geräusch – wie sich später herausstellt vom linken Tragflügel, der funkensprühend den Boden schrammt. Der zweite Landeanflug klappt dann, die Passagiere kommen mit dem Schrecken davon.

Wiederholt «schwere Vorfälle» . . .
Die Untersuchung des Zwischenfalls wurde in der Folge von der Schweiz, vom «Büro für Flugunfall-Untersuchungen» (BFU) übernommen. Dieses gelangte im Wesentlichen zum Schluss, man habe den Landeversuch bei 1700 Metern Sicht statt der minimal geforderten 2000 Meter unternommen und daraufhin einen missglückten Durchstart eingeleitet. Festgestellt wurde eine starke Beschädigung der betroffenen Flügelspitze. Weiter wurde konstatiert, dass der «Cockpit-Voice-Recorder» (CVR), der Beweismaterial für die Gespräche im Cockpit liefert, nicht auswertbar war: Nach dem Parkieren des Flugzeugs war seine Stromzufuhr nicht unterbrochen worden, wodurch das Band überschrieben wurde. Ob die Piloten in der Aufregung vergassen, die Sicherungen zu ziehen oder ob das Gerät bewusst manipuliert wurde, liess sich gemäss Auskunft des Bundesamts für Zivilluftfahrt (Bazl) nicht eruieren.

Alles in allem wertete das BFU das Ereignis als «schweren Vorfall». Bei Helvetic handelt es sich bekanntlich um eine der so genannten Billig-Airlines, deren Geschäftspolitik es ist, möglichst kostengünstige Flüge anzubieten. Obgleich der BFU-Bericht Wirtschaftlichkeits-Erwägungen als Unfallursache nicht in den Vordergrund stellt, stellt sich eben doch die Frage, inwieweit solche Billiganbieter den Sicherheitsanforderungen genügen. Auch Ryanair, eine Helvetic-Konkurrentin irischer Herkunft, welche die Schweiz systematisch anfliegt, produzierte im Juli 2004 in Stockholm einen als «schwer» taxierten Zwischenfall. Die britische Easy Jet wiederum geriet etwas früher in ihrem Mutterland in Verruf, am zweithäufigsten gefährliche Situationen durch Rufzeichen-Verwechslungen hervorgerufen zu haben. Und 2003 musste eine ihrer Maschinen nach Genf-Cointrin zurückkehren, nachdem ihr Hagel in die Triebwerke geraten war.

. . . mit älterem Fluggerät
Die Liste liesse sich fortführen, und selbstredend sind auch renommierte, teurere Gesellschaften nicht völlig vor technischen Störungen, Zwischenfällen oder gar Abstürzen gefeit. Bei den Billigfliegern gesellt sich jedoch hinzu, dass ihre Flotten tendenziell ein recht hohes Betriebsalter aufweisen. Die erwähnte Helvetic-DC-9 hat Baujahr 1987, und Ryanair beispielsweise fliegt auch mit 25-jährigen Boeings. Bezüglich Alterung nun ist es bei Flugzeugen eben nicht viel anders als beim Menschen oder bei Autos und dergleichen mehr auch: Die Strukturen werden schwächer.

Haarrisse und Korrosion
Ein gefürchtetes Phänomen, das schon wiederholt am Anfang von Flugzeug-Abstürzen stand, ist die Materialschwächung durch so genannte Haarrisse oder durch Korrosion. Gemäss Papier werden die Maschinen zwar in gewissen Abständen nach solchen Befunden abgesucht. Die mit den Inspektionen betrauten Institutionen räumen allerdings offen ein (z.B. kürzlich in einer Westschweizer Radiosendung auf «Couleur 3»), dass vor allem die so genannten Safa-Inspektionen an ausländischen Flugzeugen, welche die Schweiz anfliegen, umfangmässig unzureichend sind. Ein Grund dafür seien limitierte Finanzmittel. Eine Ladegewichts-Reduktion für ältere Flugzeugtypen wiederum erachtet das Bazl auf Anfrage als «ohne Sinn». Gemäss Art. 29 Luftfahrtgesetz muss das Amt nur «internationale Mindeststandards» durchsetzen.

Zu ergänzen wäre hier, dass erst diesen August in Venezuela eine DC-9 respektive MD-80, wie sie heute eigentlich genannt wird, abstürzte. Niemand von den 160 Insassen überlebte. Und der Helios Boeing-Typ 737, der zwei Tage vorher bei Athen runterging (alle 121 Insassen tot), wird zum Beispiel auch von Easy Jet und Ryanair verwendet. Helvetic ist derzeit daran, ihre DC-9 durch Fokker 100 mit Jahrgang 1994 zu ersetzen, die sie zu den «zuverlässigsten Flugzeugen der Welt» zählt. Dazu ist zu sagen, dass die Verlustbilanz gemäss www.jacdec.de mit sechs von 285 Maschinen nicht schlecht aussieht. An Airbus kommen sie aber damit klar nicht heran. Der schwerste Absturz mit dem Tod aller Insassen ereignete sich 1996 in Brasilien, ausgelöst durch technische Fehlfunktion der Schubumkehr.

Zwiespältige schwarze Listen
Eine nur sehr eingeschränkte Orientierungshilfe zum Problem bietet die vom Bazl kürzlich publizierte schwarze Liste der mit Flugverbot in der Schweiz belegten Airlines. Das Bazl räumt dies mit seinem Kommentar dazu auch gleich selber ein: «Fehlt eine Gesellschaft auf der Liste, so erfüllt sie nicht automatisch die Anforderungen» heisst es lakonisch. Das Amt muss sich überdies fragen lassen, was die eine der bloss zwei auf der Liste enthaltenen Gesellschaften, die ägyptische Flash Air, dort überhaupt noch verloren hat. Diese Airline wurde nach einem Absturz im Januar 2004, bei der sie einen ihrer zwei Jets verlor, in einen Reiseveranstalter umgewandelt . . .

Etwas mulmig wird einem ferner, wenn man sieht, wie das Bazl einer beachtlichen Vielfalt von Veteranen aus der Sowjetzeit den Schweizer Luftraum freigibt, scheinbar ohne grössere Beanstandungen. Auch die gelegentlichen Besuche zum Beispiel afrikanischer Staatschefs (im Januar etwa des senegalesischen) mit gut 35-jährigen Fliegern tragen nicht unbedingt zur Beruhigung bei.

Zeitgleich mit der Schweiz hat seinerzeit auch Frankreich eine schwarze Liste mit immerhin fünf Airlines darauf veröffentlicht. Wenn alles den Vorsätzen des Bazl entsprechend verlief, dann haben diese Gesellschaften automatisch auch in der Schweiz Flugverbot. Wer allerdings glaubt, er sei damit vor diesen «Schrott-Airs» sicher, der könnte sich irren. Beispiel Air Koryo aus Nordkorea: Sie wurde von Frankreich (und damit indirekt hoffentlich auch der Schweiz) aus dem Luftraum verbannt. Nun gibt es aber nachweislich Reiseveranstalter (zum Beispiel hk in Kilchberg, Name verändert), welche bei Flügen Schweiz–Pjöngjang diesen Carryer für die Reise-Fortsetzung ab Destination Peking im Angebot halten. Und zwar legal, solche Arrangements sind gesetzlich absolut zulässig. Wer hier bucht, wäre wohl gut beraten mit der Devise «Runter kommen sie alle; die Frage ist bloss, wie» . . .

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